Wassilissa, die Wünderschöne – Ein Märchen über Baba Yaga

Ich denke diejenigen unter euch, die sich mit Göttinnen und Sagengestalten des Altertums auskennen oder sich damit zumindest ein wenig damit auseinander setzen, kennen die Gestalt der Baba Yaga. Auch in etlichen Spielen wie z.B. Tomb Raider oder Castlevania findet diese Gestalt Platz. Sie ist vor allem Bekannt dadurch, dass sie in einem Häuschen auf Hahnenfüßen in einem tiefen unheimlichen Wald wohnt und jeder der sich ihrem Häuschen nähert läuft Gefahr von ihr gefressen zu werden.

Doch auf der anderen Seite war sie für die Schamanen einiger mongolischen Volksstämme eine Göttin der Erde, des Tages und der Nacht, eine Urmutter und ein Schutzgeist. Da stellt sich die Frage, war sie nun Göttin oder eine Kinder fressende Kannibalin?

Und weil es sich mal wieder einige gewünscht haben, habe ich heute eine kleine Geschichte raus gesucht, wie die von Hänsel und Gretel aus dem letzten Jahr!trennlinie_schwarzEinst lebte im fernen Zarenland ein Kaufmann mit seiner Frau. Die beiden hatten eine Tochter, und weil sie so schön war, nannten sie alle Wassilissa, die Wunderschöne. Eines Tages wurde die Frau schwer krank und rief ihre Tochter zu sich. „Wassilissa, mein Liebling, hier schenke ich dir eine Puppe. Immer wenn du in Not bist, gib ihr zu essen, und sie wird dir helfen.“ Dann küsste sie das Mädchen und starb. Nach der Trauerzeit heiratete der Vater eine Witwe, die zwei Töchter in Wassilissas Alter hatte. Doch diese Frau war böse und neidisch auf ihre schöne Stieftochter. Sie gab ihr die schwersten und Schmutzigsten Arbeiten. Das Mädchen ertrug alles und wurde trotzdem von Tag zu Tag schöner. Denn die Puppe half ihr bei allen schweren Arbeiten. Eines Tages musste der Vater für längere Zeit geschäftlich verreisen. Die Stiefmutter zog mit den Töchtern in ein anderes Haus im Wald. In diesem finsteren Wald wohnte die Furcht erregende Baba Yaga.

Der Herbst zog ins Land und die Stiefmutter gab den Mädchen für die langen Abende zu arbeiten: Die eine häkelte Spitze, die andere strickte Stümpfe und Wassilissa spann. Eines Abends ging die Stiefmutter, nachdem sie sämtliche Lichter ausgelöscht hatte, zu Bett, und nur die Kerze der Mädchen brannte noch. Da löschte eine der Schwestern versehentlich die Flamme. „Was sollen wir jetzt tun ohne Feuer, denn wir müssen ja noch weiterabreiten? Man sollte zu Baba Yaga gehen, Feuer holen“, sprachen die Schwestern. Damit stießen sie ihre Stiefschwester aus der Stube. Wassilissa ging in ihr Zimmer, gab der Puppe zu essen und erzählte von ihrem Auftrag. „Hab keine Angst, solange ich bei dir bin, wird dir nichts passieren.“ Und mit ihren Augen leuchtete sie ihr den langen, finsteren Weg durch den Wald.

Auf einmal jagte ein Reiter auf einem weißen Pferd vorbei, mit weißem Gesicht und weißem Gewand. Da wurde es heller und heller. Daraufhin jagte ein Reiter auf einem roten Pferd vorüber, mit einem rotem Gesicht und in ein rotes Gewand gekleidet. Da ging die Sonne auf. Erst am nächsten Abend erreichte Wassilissa das Haus der Baba Yaga. Der Zaun drum herum bestand aus Menschenknochen, auf den Pfählen staken Totenschädel. Da jagte ein Reiter auf einem schwarzen Pferd vorbei, mit schwarzem Gesicht und schwarzem Gewand. Er ritt bis zum Tor der Baba Yaga und war plötzlich verschwunden. Es wurde Nacht. Mit einem Mal leuchteten die Schädel auf den Zäunen hell auf. Ein Höllenlärm brach aus, die Blätter rauschten, die Bäume krachten, und Baba Yaga jagte in einem Mörser mit Keule und Besen herbei. „Wer ist da? Es riecht nach Menschenfleisch!“

Wassilissa packte Angst und Entsetzen und sie stotterte: „Meine Stiefschwestern haben mich geschickt, um Feuer zu holen.“ – „Ich kenne deine Schwestern wohl“, fauchte die Hexe, „aber bevor ich dir Feuer gebe, sollst du für mich arbeiten. Bring mir Trinken und Essen!“ Baba Yaga aß für zehn Leute und ließ Wassilissa nur ein Schüsselchen Kohlsuppe übrig. Dann sagte sie: „Morgen werde ich davonreiten, und du putzt das Haus und Hof, kochst Essen, wäscht die Wäsche und liest die schlechten Körner aus dem Weizen. Und dass bis abends, wenn ich heim komme, alles fertig ist, sonst fresse ich dich auf.“ Dann legte sich die Alte schlafen und schnarchte. 

Wassilissa fütterte ihre Puppe und klagte unter Tränen ihr Leid. Die Puppe beruhigte das Mädchen: „Hab keine Angst! Der Morgen ist weiser als der Abend. Bete und schlafe ruhig.“ 

Als Wassilissa am nächsten Morgen erwachte, flog der weiße Reiter vorbei. Die Lichter in den Schädeln erloschen. Da schoss der rote Reiter vorbei und die Sonne ging auf. Die Baba Yaga pfiff Mörser, Keule und Besen herbei und sauste davon. Als ich Wassilissa an die Arbeit machen wollte, sah sie, dass alles von der Puppe schon getan war. Am Abend deckte Wassilissa den Tisch und wartete auf die Baba Yaga. Wieder flog der schwarze Reiter vorbei. Es wurde Nacht, die Lichter der Schädel gingen an, die Blätter rauschten und die Bäume krachten, und die Baba Yaga kam nach Hause. „Hast du alle Arbeit getan?“, fragte sie und ärgerte sich, weil sie sah, dass alles getan war. „Warum redest du nicht mit mir?“, knurrte die Baba Yaga. „Ich habe mich nicht getraut“, entgenete Wassilissa, „aber wenn du erlaubst, möchte ich dich gerne fragen, wer diese Reiter sind, die ich gesehen habe?“ – „Der weiße Reiter ist mein Tag, der rote meine Sonne und der schwarze meine Nacht. Alle drei sind meine Diener. Aber sage mir, wie hast du die viele Arbeit geschafft?“, wollte die Baba Yaga wissen. „Mir hilft der Segen meiner Mutter“, antwortete Wassilissa.

Da schrie die Baba Yaga: „Gesegnete Menschen sind mir ein Greuel! Mach, dass du fortkommst!“ Sie gab dem Mädchen noch einen leuchtenden Schädel mit und jagte sie fort. In der Zwischenzeit hatten sich die Schwestern Licht vom Nachbarn besorgt, doch das war immer wieder ausgegangen. So waren sie froh, dass Wassilissa den leuchtenden Schädel brachte. Doch die Augen des Schädels starrten auf die Stiefmutter und die Schwestern, wohin sie auch gingen. Und das Licht war so stark, dass die drei zu glühen begannen und schließlich zu Asche verbrannten.

Nur Wassilissa blieb verschont. Sie ging in die Stadt und fand Bleibe bei einer alten Frau. Wassilissa spann dafür Flachs, und sie konnte Fäden spinnen so fein wie Haar. „Solch ein feiner Stoff kann nur der Zar tragen“, sagte die alte Frau und machte sich auf den Weg. Der Zar war voller Bewunderung über den feinen Stoff. „Was willst du dafür haben?“, fragte er. „Dieses Linnen ist unbezahlbar, ich schenke es euch. Nicht ich, sondern Wassilissa hat es angefertigt.“ Der Zar wollte nun unbedingt das Mädchen sehen, von dessen Händen dieser wunderbare Stoff gefertigt war. Als Wassilissa vor dem Zaren stand, war er überwältigt von ihr und sagte: „Wassilissa, du bist wunderschön! Bleib von nun an bei mir und werde meine Frau!“ Und als der Vater Wassilissas zurückkehrte, wurde eine rauschende Hochzeit gefeiert.

Quelle: Witch Magazin Nr. 2/2003trennlinie_schwarzWie ihr an  der Quelle seht, stammt diese Geschichte nicht von mir, sondern aus einem Magazin, das ich damals gesammelt habe. Im Jahr 2003 war ich gerade mal 12 Jahre alt und schon damals fand ich den lila hervorgehobenen Absatz am besten in der Geschichte. Außerdem fand ich schon damals die Baba Yaga sehr interessant!

Wie ist es mit euch? Schreibt es mir doch mal in die Kommentare!

Über ichigo_komori91

Ich bin ein nähbegeistertes Etwas, zeichne, male und schreibe gern Gedichte und Songtexte. Außerdem habe ich ein großes Interesse an der Japanischen Sprache und Kultur. Ich liebe und lebe mit der Natur, auch wenn diese mich mit Knoblauch- und Sonnenallergie straft ;)

Veröffentlicht am 13. April 2016 in Allgemein, Witchcraft und mit , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 8 Kommentare.

  1. Ich bin mit solchen Hexengeschichten immer etwas zwiegespalten….

    • Es gibt für mich auch nur recht wenige Hexengeschichten, die ich wirklich mag, denn mit Hexen ist es meistens genau wie mit Drachen: in den Erzählungen sind sie meistens die bösen…

      Bei dieser Geschichte hier finde ich, das Baba Yaga nicht wirklich „böse“ agiert, sondern eher „anders“ als es normaleLeute tun würden und daher ist es eine der wenigen Geschichten die mir gut gefallen ^^

  2. Ich muss gleich an die alten russischen Märchen-Filme denken, die von der DEFA ins deutsche übersetzt wurden. Die waren so schön! Da werde ich richtig nostalgisch…

    • Ja stimmt, die habe ich mir als kleines Kind auch immer gern angesehen! Diese Filme waren damals auch Ausschlaggebend dafür, dass ich in einer Projektwoche unbedingt in die „Märchen AG“ wollte. Und in dieser haben wir uns dann nicht nur mit Märchen, sondern mit der Mär der Geschichten auseinander gesetzt. Diese waren dann zwar meistens wenier schon, dafür aber umso spannender! ^^

  3. Ich bin ja mit russischen Märchen aufgewachsen, aber dieses hier kannte ich zumindest in der Version noch nicht.
    Gern gelesen!

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